Tischgeschichte

Unsere Mutter sagte, den alten Tisch im Bastelraum habe ihr Grossvater noch selber gemacht. Das Holz sei von einem Kirschbaum, den er einem Nachbarn abgekauft habe. Daraus schreinerte er den Küchentisch für seine Familie.

Mein Urgrossvater hat die Zeit nicht mehr erlebt, als die Spanplattenindustrie das Möbelhandwerk verkümmern liess. In der Küche meiner jung verheirateten Eltern sei dann so ein neuer Tisch gestanden mit Kunstharzblatt - modern, modisch, abwaschbar.

Urgrossvaters Tisch überlebte also in unserem Bastelraum, wurde zur ersten Werkbank für uns Kinder. Schlimm sah er aus, als wir viele Jahre später unser Elternhaus räumten: verschrammt, zerkratzt, Nagellöcher, dunkle Ölflecken, vertrocknete Farbreste, sogar eine handgrosse Stelle, wo das Holz schwarz versengt war. Schuttmulde oder Brockenhaus? Aber: Ihr spinnt wohl, sagte ein Freund, es gibt doch heute wieder Schreiner mit Herz und Hand für solche Dinge!

Seit der Restaurierung ist Urgrossvaters Tisch Mittelpunkt unserer Küche. Manchmal fährt meine Hand liebevoll über das alte Holz, die Fingerspitzen ertasten unter der Tischkante die Abdrücke der Klemmschraube von Urgrossmutters Fleischwolf. Dann dünkt mich, der Tisch lebt.

Überhaupt: Holz, natürliches Holz - so viele Baumarten, nicht ein Baum gleich wie der andere, jeder geprägt von seinem Standort, von Wind und Wetter, von guter Pflege oder Vernachlässigung. Jedes Brett ein Unikat. Manchmal gehe ich bei "unserem" Schreiner vorbei, einfach so, und freue mich, dass er nicht nur Möbel restauriert, sondern auch wieder neue Tische macht ähnlich wie mein Urgrossvater, mit Freude, gutem Werkzeug, geschickten Händen und allem was es braucht an Sachverstand, bis aus einem besonderen Baumstamm ein besonderer Tisch wird, einer für Jahrzehnte.